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Susi Pop
 
Opening: Friday, 30th June, 2023 from 6 to 9 pm
 
Opening hours: Tuesday to Saturday, 12 am to 6 pm

Clemens Krümmel

EXTE

Fremdeln und Raffen

„Solange wir die narzisstische Haltung einnehmen und die Ausweitungen unseres eigenen Körpers als in Wirklichkeit draußen befindlich und von uns unabhängig betrachten, werden wir bei allen Herausforderungen der Technik immer wieder die gleiche Bananenschalenpirouette drehen und zusammenbrechen.“ (Marshall McLuhan, Die magischen Kanäle, 1964, dt. 1970)

Aus westlicher Perspektive war Malerei immer schon eine „Kunst der Distanz“ – von den Prinzipien nachahmender oder autonomer Nähe zur Erfahrungswirklichkeit – über werkinterne Distanzen der „deepness“ oder „flatness“ – über den Expansionismus raumhungriger, installativer Malerei – bis hin zur Abgelöstheit oder Verstricktheit von Malerei in ihrem sozialen Umfeld. Im Prozess des Sich-Kennenlernens schienen die an dieser Ausstellung beteiligten Maler:innen von einer fast kulturkritischen Distanz zum Medium ihrer Wahl getragen, einer Distanz, die eine in heutiger Malerei nicht unübliche Selbstreflexivität locker überbot. Man konnte ahnen, dass sich Patrick Alt, Peter Duka, Dominik Eggermann, Undine Goldberg und Franziska Hufnagel erst im Zeichen einer distanten Verwunderung über ihre anhaltende Malereibegeisterung „wirklich“ begegnen konnten.

Für die Vielfalt der anwesenden malerischen Programme versucht der Ausstellungstitel eine paradox kurze, knappe Formel. Das aus dem Englischen entlehnte japanische Wort „Exte“ ist der Titel eines weirden Horrorfilm-Frühwerks des Regisseurs und Dichters Sion Sono (2007). Wie der deutsche Verleihtitel stumpf verbuchstäblicht, geht es darin um „tödliche Haarverlängerungen“. Die „extensions“ sind für ihr Zielgenre, den Body Horror – durch ihre Herkunft von weiblichen Köpfen in marginalisierten Weltregionen – ein geeignet „irres“ Objekt, das sich zu genretypischer Weltumspannung auswächst. Wir mochten, dass es sich hier um eine Abkürzung für Verlängerung handelt.

„Exte“, durch nur einen Buchstaben von „Texte“ separiert, kann man vielleicht auch im Sinne von Marshall McLuhans „extensions of the body“ verstehen. Genauso gut stünden sie auch für das „extended play“ der kunsthistorischen Maxi-Single „Malerei“. Insgesamt kann das Wort „Exte“ heute aber wohl eher die allseits gespannte Stimmung angesichts konkurrierender digitaler AI-Kreativitäten aus kunstexternen „Netzwerken“ ausdrücken. Was durch den misanthropisch klingenden Untertitel „Fremdeln und Raffen“ angedeutet wird – dem vom Autor dieser Zeilen aufgegebenen Titel einer halbherzig geplanten, großen europäischen Kulturgeschichte der Kunst. Führt denn das Fremdeln vor dem „Neuen“ nicht wenigstens zeitweise zu einer gedeihlichen, ko-kreativen Harmonie – oder ist die Begegnung zwischen Menschen der Kunst wirklich nur ein Schachern um Identitäten, die, halb begriffen, von jeder und jedem an sich gerissen werden und zu Zusammenbrüchen führt?

In seiner Malerei zeigt sich Patrick Alt konfrontiert mit der heute weithin bekannten Unmöglichkeit der authentischen Geste, die er oft, aber nicht immer anerkennt. Seine Arbeiten, die immer aus Akten der Zerstörung ihrer Vorläuferinnen hervorgehen, überzeugen durch die satte Sichtbarkeit malerischen Wissens, und doch ist er zu hakeligen Widersprüchen fähig. So nähert er sich mitunter Einzelbildern einer Serie unter einer zögerlich ins Bild geschriebenen Zufallssignatur aus der digitalen Postidentität – über die digitalen Akronyme PIN oder TAN. Oder er malt so genannte „Alltagswege“ außerhalb seines Ateliers blind (ohne hinzusehen) in Winkeln und Ecken auf die Leinwand und baut den Betrachter:innen schwankende Brücken aus seiner inneren Vorstellungswelt. Seine Figuren sind Klischeeformen, aber zugleich auch Reduktionen jeder projektiven Identifikation, die wir und die er überhaupt zustande bekommen können.  

Der Eigenwille der Bilder von Peter Duka liegt in ihrem scheinbar unzeitgemäßen Fundament in der klassischen westlichen Landschaftsmalerei. Die Formel der Landschaft, der er sein bisheriges künstlerisches Arbeiten gewidmet hat, sieht er als Inbegriff eines historischen visuellen Herrschaftsanspruchs, die er mit herumvagabundierenden, barock kostümierten Einzelfiguren durchkreuzt. Seine getupften und manchmal ins Feine getriebenen Grundlandschaften werden aber nicht perspektivisch zu dem Machtraum zusammengezerrt, als die man sie sehen könnte. Gerade in letzter Zeit findet man sie in der Tiefe mehrerer sich überlagernder Schichten organisiert – es sind Farbschichten, in denen bewusst gesetzte Störungen, Schlieren und Spratzer allen offenbaren, wie feingliedrig und detailbewusst im Bild reguliert wird, was man eher als Klima denn als Stimmung beschreiben kann. Die Bilder täuschen wie das abgeschiedene Werk eines Monomanen etwas Festes vor, doch sieht man mehrere von ihnen, zeigt sich, wie satyrhaft offen Duka für alles Sprunghafte, Wetterwendische und Unerwartete ist.

An den Rändern seiner malerischen Tätigkeit ist Dominik Eggermann ein digital worker, der mitten im aktuellen Katzengoldrausch willfährige, KI-gesteuerte Bildmaschinen baut. Gegen den ungesunden Frisson, den deren Bilder oft auslösen, wirken seine malerischen Werke wie hypnotisch-expressive Updates eines historischen Pointillismus – oder einer anderen Form des Auge, Gehirn und Hand verbindenden Impressionismus. Eggermann interpretiert die Distanz zu seinen Malgründen als dynamischen Aktionsraum, den er, mit Pinseln oder Stiften bewaffnet, wieder und wieder für unkalkulierte Crashtests nutzt und so in sehr ausgedehnten Produktionsphasen mikroskopisch strukturierte Intentions-Imprints seiner gerichteten Körper/Geist-Präsenz hinterlässt. Diese können plastisch oder körperhaft wirken, Landschaftselemente wie Horizont, bewölkten Himmel, Bäume bieten oder die Oberfläche mit warmen Farbtimbres versehen. Aus dem feinen organischen Chaos ihrer mit Effet über- und nebeneinander geschleuderten Zeichenspuren, das die Leinwände oder Kartons wie ein Meteoritenschauer überzieht, ließe sich bestimmt ein kurzfristig überzeugender Vergleich zur Retina-Pixelhölle der digital realms ziehen, aber die analoge Bewusstlosigkeit des malenden Körpers kann sich noch behaupten.

Eine lange Reihe nass in nass auf dünne, oft artifiziell produzierte (Kunst-)Stoffbahnen gemalter Selbstporträts hat Undine Goldberg genutzt, um für sie wichtige künstlerische Bezugspunkte ins Bewusstsein zu rufen, indem sie sich in mal bekannte, mal weniger bekannte Bildnisse aus verschiedenen Jahrhunderten, Kulturen, Rollenzusammenhängen und Geschlechteridentitäten hineinversetzte. So konnte sie mit intensiv nachfühlbaren, realistischen impersonations ihre Präsenz in heutigen malerischen Räumen beweisen, zugleich aber auch die für solche magischen Akte notwendigen psychischen Einfühlungen und Erkenntnisse vermitteln – einschließlich aller Abgründe, die entstehen und verhandelt werden müssen, wenn auf der malmetaphorischen Ebene Farbe und Blut ineinander laufen. Ihr „Nass-in-nass“, das auch andere Genres wie Stilleben oder Landschaften bewältigt, jongliert immer zwischen Objekt und Abjekt, zwischen hochglänzend-umrissscharfen Körperwolken und deren Überflutung durch mischfarbig-destruktive Sturzbäche. Eine Dialektik, die Goldberg in letzter Zeit erweitert, wenn sie den Trägerstoff mit der Schere attackiert, die in der identifikatorischen Schmerzzone geschaffenen Fetzen wieder zusammennäht und die historischen Hybride dann oft nicht mehr auf einer Wand ausbreitet, sondern wie ein löchriges Küchenhandtuch an einem einzigen Nagel aufhängt.   

Wer einen Mondrian oder Kandinsky kopiert, malt kein abstraktes, sondern ein realistisches Bild. Franziska Hufnagel hat neben ihrem Einsatz in figurativen Sprachen eine malerische Praxis entwickelt, mit der sie die Differenzierungs- und Fassungskraft der Betrachter:innen nicht mehr durch Gegenüberstellung von inner- und außenbildlicher Logik auf die Probe stellt. Sie erkundet, wie auf der Bildfläche ein ästhetisch kaum mehr differenzierbares Nebeneinander abstrakter Ornamentiken entstehen kann, bei dem sich innerhalb ihrer Konstellationen durch langwierige Prozessen malerischen Arrangierens unerwartete, auch im fertiggestellten Zustand lebendig und in der Wahrnehmung veränderlich scheinende Nachbarschaften ergeben. Diese Malprozesse basieren auf einer komplizierten, im Weiterarbeiten hergestellten Kette bild- und sehlogischer Ausschlussentscheidungen. Aus Franziska Hufnagels heiklem Navigieren an den schrillen Rändern des Ungegenständlichen bilden sich nacheinander neue ornamentale Einheiten, die oft disharmonisch fremd aneinander grenzen, sich zeitweise als „Bilder im Bild“ übereinander erheben, um ihre Betrachter:innen immer wieder in sich hineinzuziehen und auszuspeien. Ihre gefühlte und gedachte malerische Organisationsform jenseits illusionistischer Räumlichkeit und „ordentlicher“ Farbperspektivik verlangt noch stärker als andere malerische Verträge mit der erlebten und der vorstellbaren Wirklichkeit nach Distanz und erlebter Zeit.
 
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