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Peter Duka

Dr. SYNTAXX

Opening: Friday, 2024, 6th September from 6 to 9 pm
Exhibition: 7th September to 2nd November 2024
Opening hours: Tuesday to Saturday, 12 am to 6 pm

SUSI POP

Klar, es geht auch um Landschaften. Die Bilder von Peter Duka gelten in der Mehrzahl der Fälle als Landschaftsbilder. Er „kommt aus der Landschaft“. Wie historisch vereinbart, verfügen seine Gemälde über alles, was Landschaftsbilder brauchen: Sie haben einen Vordergrund, einen Mittelgrund, einen Hintergrund. Ebenen. Linearperspektive etc. brauchen sie nicht, eine Linie, etwas Horizontartiges reicht. Die Bilder haben außerdem Boden oder meinetwegen Grund, eine Vegetation mit oder ohne Menschen oder Tiere, einen Himmel mit oder ohne Wolken. Licht und Wasser, auch Spiegelungen. Obwohl das Querformat englisch „landscape format“ heißt, sind Dukas Landschaften in dieser Ausstellung hochformatig, also eher „portrait format“. Also Landschaften wie Spiegel, so dass die Landschaftsteile manchmal fast „menschlich“ wirken, wie ein innerer Horizont? Was hinter den Bildern ist? Also da regt mich schon die Frage auf. Fragt euch lieber, was davor passiert ist!

In Peter Dukas neuem Atelier war im letzten Jahr weit mehr los als je zuvor – nicht nur, weil etwas mehr Platz da war. Man konnte ihn dort gegen Mittag antreffen, umstellt von einer Batterie Leinwände, fast alle im selben Format, hundert mal achtzig. Und dann die ganzen Leute. Wer solche Assistent*innen hat, wer braucht da noch Kritiker*innen? Allen voran Doktor Syntax, pikaresker Forschungsleiter der experimentellen Bildabteilung, sein tief im 18. Jahrhundert#A1 verwurzelter kunstwissenschaftlicher Assi, immer noch und immer wieder „auf der Suche nach dem Pittoresken“. Von ihm stammt wohl die Idee mit den gleichformatigen Leinwänden – das soll helfen, in den Bildern Ross und Reiter (und Mähne und Kandare und Stall und Reise) zu trennen. Gemeint sind Kausalzusammenhänge und Wirkungsweisen unterschiedlicher Einflussgrößen im Malerischen, in der Experimentalreihe, dem methodisch angelegten Versuch zur empirischen Gewinnung von Information, zur Klärung von Vorgängen und Umständen, zur Bestätigung von Theorien, als Grundlage neuer Erkenntnisse. Doktor Syntax, der Assi, der seinem wichtig klingenden Namen neuerdings ein zweites „x“ aufmultipliziert hat, Richtung Hardcore wahrscheinlich, hat auch einen tolpatschigen Hiwi: Mr. Clutter, dem im Bild alles Poststrukturelle, alles nicht oder nicht mehr Figurative überlassen ist. Sein Problem: der Doktor hat ihm erzählt, seine Arbeit  habe „linkisch“ zu sein, unvordenklich, unvereinbar, wie eine gegenstandlose Tarantel auf einer romantisch-satten Inmitten-Sachertorte. Kurz gesagt, er hat gelernt, sich zu misstrauen, obwohl er naiv sein müsste. Massives Unschuldsproblem. Peter Duka und Doktor Syntaxx reden öfter in einem Ton mit ihm, den man bei Kindern anschlägt.

Duka versucht nach Kräften, mit den beiden zusammenzuarbeiten, denn sie sind, für sich gesehen, weit mehr als nur Hilfskräfte, eher jahrzehntelang auf Exzellenz getrimmte Spezialisten. Die aus der Bratpfanne in die Gasflammen springen, die im Laufe der Zeit immer mehr über immer weniger wissen, bis sie alles über nichts wissen. Jeder von ihnen hat seinen eigenen Kopf und seine eigenen Hände, und natürlich weiß Peter Duka auch, dass die Leser*innen von Robert Louis Stevenson erst im 9. Kapitel erfahren, genau wie sich Doctor Jekyll und Mr. Hyde eigentlich zueinander verhalten. Er weiß, dass sich sein (inneres) Atelier jenseits von Syntaxx und Clutter über die Jahrzehnte mit zig hochqualifizierten Spezialkräften – zum Romantischen, zum Erhabenen, zur Karikatur, zur Anthropomorphie, zum Idyll, zur Farce, zum Naturschönen, zur Ekstase, zum Nichts, zur Cultural History X – so pickepackedicht gefüllt hat, dass man für eine „flatness“ der Malerei – so es sie denn gibt – von Herzen dankbar sein dürfte. Neben dem sauberen Doktor und der leicht zu beeinflussenden Schlierenschleuder Clutter addieren nun seit einiger Zeit ein paar der Dauergäste im Atelier zur Geschichte des Künstlichen die Geschichte der Künstlichen Intelligenz. Und die einst Schritt für Schritt alla prima taxierte malerische Produktion mit ihren ehrlichen und versteckten Korrekturen explodiert inzwischen auf Dukas digitalen Tablet in tausend Richtungen der unendlichen Reversibilität, Apfel-X, Apfel-Z sozusagen – da soll das „spezifisch Malerische“ nicht drunter leiden? Wie uns das Vermeintlich Neue Erhabene des Digitalen zurzeit und wer weiß wie lange noch desorientiert und tipsy macht, ist Dukas Malerei nicht nur auf irgendeiner symbolischen Ebene den Unbilden der postmalerischen Wirklichkeit ausgesetzt. Die Spezialist*innen streiten sich, das Problem Malerei bleibt. Und die Landschaft, einst aufklärerisches Powertool der Weltergreifung, ist die Armlänge des Malers, der leere Raum vor seinem Kopf, der nicht einfach mit irgendwas gefüllt werden kann, obwohl Irgendwas in Legion gleich außerhalb des Gesichtsfelds drängelt und rein will.

Mitunter schon ungnädig – das Digitale etwa muss erst mal draußen bleiben (bleibt aber daheim genährte liaison dangereuse) –, empfängt Duka all diese komplizierenden Komplizen doch höflich und pflichtbewusst in seinem Atelier. Er will sie sehen und mit ihnen Umgang haben, so gut wie möglich. Mehr noch als der poststrukturalistische Doktor Syntaxx, der das „Bild im Bild“ und den „Abgrund im Abgrund“ will, der mit dem Verschwinden und Wiederauftauchen des Figurativen, des bildnerischen und gebildeten Subjekts inmitten der randomness von Mr. Clutters Chaos-Lingo sucht, das abwechselnd nach inniger Zuwendung ruft oder einem anscheinend voller Verachtung eine liberale Menge bunter Farbe ins Ponem katapultiert – mehr noch als das will er (auch auf seinem Instachannel) unbedingt wissen, was von dieser notwendig großen Menschenmenge nach draußen dringt, wie es wann auf wen wirkt, was unter all den spezialist*innengenährten, aber auch seinen eigensten Wissensdepots an Ebenen, Formen und Handgriffen wirklich für euch sichtbar und spürbar wird. Die Leute zwischen ihm und den Bildern: eine quecksilberhafte Gemengelage, die Bilder: ein immer hinreißendes, mitunter sattes, mitunter fadenscheiniges Geschichte an den Rändern des Malerischen, das ihm tageweise das Äußerste an Frustrationstoleranz abverlangt. Sie sind alle da, keiner führt ihm die Hand. Was kann ich dafür, O Erde voller Dornen, dass ich ein Einhorn bin.#A2

Clemens Krümmel


Anmerkungen

1 William Combe (1742–1823), „The Tour of Dr Syntax in Search of the Picturesque, a Poem“, London1809ff., erste von drei „tours“, geschrieben auf der Grundlage von Thomas Rowlandsons (1757–1827) 31 großartigen Illlustrationen. Online lesbar unter https://publicdomainreview.org/collection/dr-syntax/ – Deutsche Ausgabe: „Die Reisen des Doktor Syntax. Hg. von Wolf-Dieter Bach, mit einem Beitrag von Norbert Miller und Karl Riha, München 1983.
2 Julio Cortázar, “Der unnötige Schutz”, aus dem Spanischen v. Rudolf Wittkopf, in: ders., Letzte Runde, Frankfurt am Main 1984, S. 136, orig. „La protección inutil“ (1969).

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